Was haben Abtreibung und Posttraumatische Belastungsstörung miteinander zu tun?
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Störung, verursacht durch ein schweres Erlebnis, das Betroffene schwer verarbeiten. Das Ereignis wird in dem Augenblick als traumatisch bezeichnet, in dem eine Person entweder den Tod eines anderen (nahestehenden) Menschen direkt miterlebt, oder selbst knapp dem Tod entrinnt. Der Zustand kann auch dann ausgelöst werden, wenn die Person selber schwer verletzt wurde, bzw., knapp daran vorbei. Sexuelle Gewalt wird auch dort eingeordnet.
Trauma bedeutet aber auch „sprachlose Angst“: Die Betroffenen sind oft nicht fähig, unterschiedliche Gefühle in Worte zu fassen, sie sind Gefangene ihres Zustands. Sie können dem Gegenüber nicht erklären, was gerade in ihnen vorgeht.
Alpträume, aufdringliche Gedanken oder sogenannte Flashbacks (plötzliche Rückversetzung), Meidung von Erinnerungen daran, negative Gedanken und Gefühle, sowie Hyper-arousal (Hypererregung) und Reaktionen, die auf das Trauma zurückzuführen sind.
Im frühen Stadium des Traumas befinden sich Betroffene typischerweise in einer Betäubung, da die Gefühle und Erinnerungen an das Trauma als überwältigend wahrgenommen werden; vor allem, weil sie oftmals als Alpträume oder Flashbacks plötzlich und scheinbar unkontrollierbar wiederkehren.
Wiederholtes Nacherleben eines Traumas kann so schmerzlich und überwältigend sein, dass die betroffene Person viel Zeit und Energie investiert, explizite Orte, Geräusche, Gerüche oder Gefühle, die mit dem Trauma verbunden sind, zu vermeiden. Sowohl Suchtverhalten und andere Formen emotionaler Abkapselung, sowie selbstzerstörerische Verhaltensweisen können ein Indiz dafür sein.
Abtreibung ist für viele Frauen und Männer ein traumatisches Ereignis das weitreichende emotionale, körperliche, geistige und zwischenmenschliche Folgen mit sich zieht, und lange nach der Abtreibung nachhallt. Nicht selten kommt es vor, dass die betroffene Person schon vor der Abtreibung diversen Formen des Missbrauchs ausgesetzt wurde und sich deshalb in größerer Gefahr befindet, schwere Folgen davonzutragen.
Der Schock einer Abtreibung ist oftmals so groß, dass normale Mechanismen zur Bewältigung des Traumas überlastet werden. Die Beteiligung am Tod des eigenen, ungeborenen Kindes, als auch an der Abtreibung, können, unter anderem, folgende Symptome auslösen:
Beginnt eine betroffene Person über die Erinnerungen und Gefühle zu erzählen, kann ein hohes Maß emotionaler und physiologischer Erregung ausgelöst werden. Bei der Sinnsuche für den Verlust kann es dem betroffenen Menschen schwerfallen, geerdet zu bleiben. Er kann unfähig sein, seinen Gefühlen ihren Lauf zu lassen. Diese Dissoziation (Loslösung von Körper und Wirklichkeit) findet bei Opfern von Trauma häufig statt. In dieser Hypererregung ist es schwer, ein Erlebnis zusammenhängend zu erzählen – obwohl gerade zusammenhängendes Erzählen ein wesentlicher Aspekt der Heilung ist.
Ein geborgenes Umfeld ist insofern vonnöten, um die Angst, den Kummer und die Betäubung anzusprechen, ehe man Gnade, Liebe und Barmherzigkeit verinnerlichen und akzeptieren kann. Zwar beichten viele Frauen und Männer ihre Abtreibung (oftmals über Jahre hinweg) und suchen für einige Zeit einen Berater oder Therapeuten auf, bekommen aber nicht die Gewissheit des Friedens und der Vergebung. Sie fühlen sich in der Gesprächstherapie festgefahren und in ihrer Hoffnungslosigkeit gefesselt.
Also sprechen die meisten Betroffenen das Thema Abtreibung lieber gar nicht erst an: Es ist zu schmerzhaft. Oft werden sie von der Angst beherrscht, einen Bereich zu betreten, dem sie nicht mehr entrinnen können. Selbst bei denen, die über die Erlebnisse wiederholt sprechen, dreht es sich häufig um einen spezifischen Aspekt der Geschichte – sie erleben es immer wieder, zusammen mit allen Schrecken – aber ohne Linderung oder Heilung.
Im Laufe der Erinnerungen schalten sogar die Sprache und die exekutiven Funktionen ab: Exekutive Funktionen sind die höheren mentalen, bzw., kognitiven Prozesse, die der Selbstregulation und zielgerichteten Handlungssteuerung eines Menschen in seiner Umwelt dienen. Sie sind unabdinglich im täglichen Leben, denn sie ermöglichen uns Aufgaben und Herausforderungen von Anfang bis Ende durchzuführen. Exekutives Funktionieren ist ausschlaggebend für Erfolg in der Arbeit, in der Schule und ermöglicht uns, die Belastungen des täglichen Lebens zu bewältigen.
Deshalb kann es in der Einzeltherapie zu Frustration kommen und somit zum Abbruch der Therapie. Traumaspezialisten sind sich einig, daß eine erfolgreiche Traumatherapie multidisziplinär ist. Das bedeutet, im besten Falle Gruppentherapie, kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation und nach Bedarf auch Anwendung von Medikamenten, um durchgreifend zu wirken.
Wir bieten eine Selbsthilfegruppe und Rachels Weinberg für Menschen nach Abtreibung an. Hier steht ein geborgener Raum zur Verfügung, wo Frauen und Männer - oft zum ersten Mal - über ihre Gefühle sprechen können.