Als Teenager wurde Petra schwanger und entschied sich für eine Abtreibung.
"Die Facharzt-Assistentin blickte von ihrem Pult auf und sah mir in die Augen. „Positiv.“
Ich hörte dieses Wort und nahm es doch nicht wirklich wahr. „Positiv“, dröhnte es in meinem Kopf: das bedeutete „schwanger“ – und daran konnte ich im Moment nichts „Positives“ sehen! Ich musste wieder im Wartezimmer Platz nehmen und auf ein weiteres Gespräch mit meinem Gynäkologen warten. Als er mich in seine Ordination holte, brach ich in Tränen aus.
Ich war gerade Teenager und schwanger und stand kurz vor meiner Reifeprüfung. Ich hatte – wie die meisten jungen Mädchen – große Pläne für meine Zukunft. Zunächst einmal wollte ich für ein Jahr ins Ausland gehen, nach Italien, und dann meine Kenntnisse durch ein Sprachstudium vertiefen. Ich wollte erfolgreich sein und mich selbst verwirklichen. An ein Kind hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht im entferntesten gedacht. Es passte überhaupt nicht in meine Lebenssituation.
Der Gynäkologe war an jenem Tag vermutlich gestresst und müde. Jedenfalls hatte er keine Zeit und wohl auch keine Lust, mit einem hysterischen Teenager lange zu diskutieren.
„Jetzt führ dich mal nicht so auf“, sagte er schroff, „offensichtlich willst du das alles nicht. Also geh zu meinem Kollegen in den achten Stock, er wird das Problem für dich lösen.“
Mit diesen Worten hielt er mir die Tür auf. Ich ging – und wusste nicht wohin. Ich hatte nur das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Einem ersten Impuls folgend, schlug ich die Richtung zur Arbeitsstelle meiner Schwester ein, die gegenüber lag. Doch vor der Tür machte ich Halt. Was, wenn sie mit meinem Eltern darüber reden würde?
Als das jüngste von sechs Kindern war ich in einem wohlbehüteten, gesunden Elternhaus aufgewachsen. Nie hatte ich meine Mutter darüber klagen hören, dass sie „nur“ zu Hause war, sie schien mit Leib und Seele Mutter zu sein. Sogar mich, als sechstes, bezeichnete sie als Wunschkind.
Trotzdem wollte ich nie so leben wie sie. Ich dachte, ein Mädchen muss die große Welt sehen, darf sich von niemandem abhängig machen, muss gebildet sein und viel Geld verdienen, dann wäre es glücklich. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten meinen Eltern Ja zu dem Kind gesagt, und wenn sie es selbst hätten großziehen müssen. Doch das wollte ich nicht. Ich wollte nicht versagen. Ich war stark. Ich würde die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Also sprach ich mit niemandem darüber, nur mit dem Vater des Kindes. Er meinte es gut mit mir, sagte nur: „Das ist DEIN Leben. Das musst du schon selbst entscheiden. Ich möchte dich nicht beeinflussen.“ Die darauf folgenden Tage erlebte ich wie in einer Trance. Manchmal dachte ich, ich würde es auch mit dem Kind schaffen. Aber meistens weinte ich nur und sah keinen Ausweg – außer einem. Einfach nur weg damit, wieder „unschwanger“ sein, so tun, als wäre nie etwas gewesen.
Ich erinnere mich genau an den Tag, als ich morgens mein Elternhaus verließ, als würde ich zur Schule gehen. Ich war auf den Weg in den „achten Stock“. Dann ging alles sehr schnell. Und dennoch: Als ich an jenem Nachmittag nach Hause kam, war ich nicht mehr dieselbe. Ich konnte gar nicht glauben, dass ICH es getan habe. Ich war grundsätzlich immer gegen Abtreibung gewesen. Und ich hatte auch keine Abneigung gegen Kinder. Doch mit diesem Kind war es anders. Es hatte mich bedroht – meine Pläne, meine Zukunft, mein Leben.
Die körperlichen Folgen waren nicht der Rede wert und bald überstanden. Aber in meiner Seele blieb diese tiefe Leere, die ich auch als inneren Tod beschreiben möchte. Tod deshalb, weil es keine wahre Freude mehr für mich zu geben schien. Ich vergrub mich in meine Schularbeiten, das Lernen half mir, nicht über die vergangenen Ereignisse nachdenken zu müssen. Doch die Nächte waren oft lang und schlaflos. Es gelang mir nicht, die Sache abzuschließen. In meinen unruhigen Gedanken lebte mein Kind weiter. Ich stellte mir vor, wie es wohl aussehen würde, wie es lachen, weinen, sprechen würde. Es wuchs neben mir auf, obwohl es gar nicht da war.
Meine Schwester wurde kurze Zeit später schwanger – und wie schrecklich war es für mich, ihre Vorfreude auf dieses Kind miterleben zu müssen! Zu sehen, wie sie ein Gitterbettchen anschaffte und dieses kleine Pünktchen von Anfang an als ihr Kind betrachtete. Nicht als etwas Verschwommenes, einen Zellhaufen, ein Schwangerschaftspotential – sondern ein Menschenkind, einzigartig, wertvoll. Und obwohl ich damals noch keine Ahnung von der Entwicklung des Kindes im Mutterleib hatte, war mir eins sofort nach der Abtreibung bewusst gewesen: Ich hatte mein eigenes Kind getötet. Diese Schuld lastete auf mir wie ein schwerer Stein. Und ich wusste auch, dass kein Mensch mich davon befreien konnte.
Als mein Neffe geboren wurde, studierte ich bereits und verfolgte meine Pläne mit Zielstrebigkeit. Aber ich spürte, wie mein ganzes Herz an diesem Kind hing. Später entdeckte ich, dass er wohl so etwas wie ein „Ersatz“ für mein eigenes, verlorenes Kind gewesen sein muss.
Heute finde ich es erschreckend, dass niemand bemerkt hatte, wie es mir in meinem Innersten ging, weder meine engsten Freunde noch meine Familie. Wie gut sind wir doch im Masken-Tragen! Ich dachte, ich müsste immer die Starke spielen, darf mir nur keine Blöße geben. Aber innerlich war ich furchtbar einsam.
So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich emotional nicht wieder in den Griff bekommen. Der Anblick eines Plakates, auf dem ein neugeborenes Baby abgebildet war, ließ mich auf der Straße in Tränen ausbrechen. Die Erinnerungen an die Abtreibung brachten mich zum Zittern. Und die Schuld lastete so schwer auf mir, dass ich mir selbst verbot, jemals in meinem Leben Kinder zu haben. Trotz meiner Jugend war das eine sehr schwere, selbst auferlegte Strafe, aber ich war mir sicher, dass ich es nicht ertragen könnte, wieder schwanger zu werden. Und sollte es doch passieren, würde ich mich umbringen.
Ich war nicht besonders religiös erzogen worden und konnte mit der Kirche wenig anfangen. Meine Freundin war allerdings wirklich gläubig und erzählte mir immer wieder von Jesus, und davon, dass er am Kreuz für unsere Schuld gestorben ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich die Büchlein und Kassetten, die sie mir gegeben hat, angesprochen haben. Aber ich weiß noch, dass ich in einer dieser schlaflosen Nächte ein unkonventionelles Gebet gesprochen habe: „Gott, wenn es Dich wirklich gibt, dann vergib mir bitte.“
Meine Freundin kannte meine Geschichte natürlich nicht – niemand wusste davon – aber immer und immer wieder lud sie mich ein, zu einem freikirchlichen Gottesdienst mitzukommen. Also gab ich eines Tages ihrem Drängen nach und begleitete sie zu einer kleinen Gruppe von Christen, die sich in einer privaten Halle versammelt hatte. Es war für mich ein völlig neues Erlebnis, diesen Lobpreis und diese Art der Predigt zu hören. Doch mitten in seiner Verkündigung stoppte der Pastor. Eigenartigerweise wusste ich sofort, dass nun Gott mit mir sprechen würde.
Er sagte: „Hier in dieser Versammlung gibt es eine Frau, die eine Abtreibung hatte, und sie hat Gott dafür um Vergebung gebeten.“ An diesem Punkt brach ich bereits lauthals in Tränen aus. Aber es ging noch weiter: „Gott möchte ihr sagen, dass er ihr vergibt. Und dass er ihr Kinder schenken möchte.“ Meine Freundin saß eine Zeitlang sprachlos neben mir, bis sie mich in ein Nebenzimmer brachte, wo ich sehr lange meinen Schmerz aus mir heraus weinen konnte.
Das Gefühl, das ich an jenem Tag hatte, als ich nach Hause ging, kann ich mit Worten nur schwer beschreiben. Ich dachte, ich könnte fliegen, so leicht fühlte ich mich. Dieser Stein der Schuld, der so lange auf mir gelastet hatte, war weg! Mir war vergeben! Das war und ist immer noch das wunderbarste Gefühl, das ich bis jetzt kennengelernt habe.
Mit der Zeit nahm die Sehnsucht zu, diesen Gott, der mich so persönlich kannte und Antworten und Auswege für meine Lebenssituation hat, besser kennenzulernen. Ich las mehr und mehr in seinem Wort und schloss mich dieser Gruppe von Christen an, die noch ganz andere, wunderbare Geschichten von Gottes Wirken zu erzählen wussten. Ich gehe diesen Weg mit Gott nun schon seit fast zwanzig Jahren und werde Ihm ewig dankbar dafür sein, dass Er mir wirklich ein neues Leben gegeben hat. Heute bin ich glücklich verheiratet, habe drei Kinder und möchte diese Botschaft überall verkünden: Dass Gott ein vergebender Gott ist, und Er uns wirklich frei macht.
Petra Plonner leitet gemeinsam mit ihrem Mann Helge die LIFE Church Leoben. Sie ist stv. Obfrau der Österreichischen Lebensbewegung und pädagogische Leitung von TRINITY, Verein zur Förderung christlicher Bildung und Erziehung in Österreich.